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"Kurzandacht in der Wohnzimmerkapelle" – eine Analyse der Tagesschau

Ein Medienwissenschaftler analysierte acht Ausgaben des Nachrichten-Flaggschiffs der ARD. Er kritisiert, dass sich zentrale Präsentationsformen der Tagesschau seit den 1950er-Jahren kaum verändert hätten. Journalistische Arbeit wird durch diese Art Präsentation "unsichtbar gemacht".
"Kurzandacht in der Wohnzimmerkapelle" – eine Analyse der TagesschauQuelle: www.globallookpress.com © Marcus Brandt

Der Medienwissenschaftler Hermann Rotermund beschäftigte sich mit dem Phänomen der ARD-Sendung Tagesschau. Das Ergebnis zeige, dass die wechselnden Moderatoren eigentlich nur "Zusammenfassungen der redaktionell ausgewählten Ereignisse verlesen", anstatt "Ereignisse zu erklären oder die Berichtsfolge zu moderieren", so Rotermunds Darlegung.

Rotermund fasste seine Analyse in einem Beitrag für den Evangelischen Pressedienst (epd)zusammen. Er bemängelt dabei an den Hauptnachrichten ihren "selbst auferlegten Formatzwang", der "letztlich alle Ereignisse" leicht verständlich anpasse und damit rein als "beruhigende Welterzählung" gewertet werden könnte. Diesbezüglich schreibt er:

"Auch echte Katastrophen können durch die mit Stereotypen gesättigten Aufarbeitungen ihren Schrecken verlieren. Fraglich ist, ob standardisierte Berichte, die durch Reisen und Treffen von Politikern, durch Konferenzen, Messen und andere Veranstaltungen veranlasst werden, überhaupt eine Informationsqualität im strengen Sinne besitzen."

Mit dieser manipulativen Technik vermittle die Tagesschau-Redaktion den Effekt, dass im Grunde keine Neuigkeiten gesendet würden, sondern "eher die Bestätigung der unermüdlichen Tätigkeit der ins Bild gerückten Akteure und damit der von ihnen vertretenen Institutionen". Die Sendung erwecke damit den Eindruck, "dass die Welt nicht völlig in UNOrdnung sein kann, solange diese Rituale funktionieren", so Rotermund in seiner Bewertung. Seine erweiterte Kritik lautet:

"Der Tonfall ist sanft-autoritär und lässt keinen Zweifel darüber zu, dass es so und nicht anders in der Welt zugeht."

Die Tagesschau-Redaktion lege nach Einschätzung des Medienwissenschaftlers anscheinend weiterhin "Wert auf die Vermeidung des Dialogs", bezog sich dabei auf die über die letzten Jahren seitens der internationalen Konkurrenz vorgenommene Modernisierung in der Darstellung:

"Andere journalistische Medien haben als Reaktion auf die Entwicklung der digitalen Kommunikation an ihrer Sichtbarkeit und Dialogfähigkeit gearbeitet. Doppelmoderationen in Nachrichtensendungen, auch die knappen Dialoge zwischen Presenter und Reporter (wie sie in etwas gestelzter Form auch in den 'Tagesthemen' vorkommen) können Funken hervorbringen, die auf die Rezipienten überspringen und dort Gespräche auslösen."

Bei der britischen BBC seien zum Beispiel die Präsentatoren zugleich als Journalisten erkennbar und offerierten dabei Gesprächsangebote, anstatt rein als "Verkünder unangreifbarer Wahrheiten" zu fungieren. Zum täglichen Ereignis heißt es daher wertend:

"Die Sendung vermittelt den Eindruck einer Kurzandacht in der Wohnzimmerkapelle."

In vielen Filmbeiträgen und Sprechermeldungen der Tagesschau fänden sich "kaum Eigenrecherchen außerhalb von institutionellen Bezügen", moniert Rotermund. Dementsprechend tauche daraus resultierend "vor allem der Typus des Sprechers oder Akteurs einer Organisation auf". Die verwendete Bildspur illustriere die gesprochenen Texte und habe keine eigene informative Funktion.

Die Tagesschau um 20 Uhr ist laut Statistik ungebrochen die meistgesehene Nachrichtensendung in Deutschland. Im Jahr 2022 schalteten im Schnitt rund 10,1 Millionen Menschen im Ersten, in den Dritten und weiteren Programmen ein. Zuständig ist die Gemeinschaftsredaktion ARD-aktuell mit Sitz beim NDR in Hamburg.

Rotermund war von 2004 bis 2013 Professor für Medienwissenschaft an der Rheinischen Fachhochschule Köln. Von 2013 bis 2015 leitete er das Projekt Grundversorgung 2.0 an der Leuphana-Universität Lüneburg bei Hamburg. Bei der ARD hatte er von 1996 bis 1998 die Projektleitung von ard.de innegehabt und von 1997 bis 2000 das Projektmanagement des ARD-Onlineauftritts verantwortet.

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