Deutschland

Friedensaktivist vor Gericht: "Nie wieder dürfen Deutsche sich an Krieg gegen Russland beteiligen"

Verteidigung des Friedensaktivisten, der wegen "Billigung eines Angriffskrieges" am Montag vor dem Landgericht Berlin stand: Als Deutsche müssen wir die schmerzliche Erinnerung an den grausamen Vernichtungskrieg des faschistischen Deutschlands gegen die Sowjetunion wachhalten.
Friedensaktivist vor Gericht: "Nie wieder dürfen Deutsche sich an Krieg gegen Russland beteiligen"Quelle: www.globallookpress.com © Komsomolskaja Prawda

Anlässlich des 81. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 hielt der Berliner Friedensaktivist Heinrich Bücker bei einer Gedenkkundgebung am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park am 22. Juni 2022 eine Rede. Anschließend wurde er nach § 140 Strafgesetzbuch verklagt, einen Angriffskrieg zu billigen. Bei der Verhandlung in zweiter Instanz vor dem Landgericht Berlin verlas er am Montag seine Verteidigungsrede.

Von Heinrich Bücker

Die hier gerichtlich gegen mich erhobenen Beschuldigungen weise ich zurück. In meiner Rede "Wir vergessen nicht!" habe ich aufgerufen, die "schmerzliche und beschämende Erinnerung an den grausamen Vernichtungskrieg, den das faschistische Deutschland der gesamten Sowjetunion angetan hat, wachzuhalten".

Deutschland trägt die Verantwortung für den Tod von mehr als 25 Millionen Bürgern der Sowjetunion, die während des Zweiten Weltkriegs umkamen oder gezielt getötet wurden. Die deutsche Wehrmacht hat in Leningrad mehr als eine Million Menschen vernichtet, die meisten durch Aushungern. Die Sowjetunion brauchte Jahrzehnte, um die Zerstörungen dieses Krieges zu überwinden. Deshalb nochmals: "Nie wieder dürfen wir als Deutsche an einem Krieg gegen Russland in irgendeiner Form beteiligt sein."

Meine Haltung gegen Krieg ist eindeutig: Ich bin gegen alle Kriege. Kriege sind grundsätzlich schrecklich. Kriege bedeuten immer zahllose Tote und Schwerverletzte und zahllose Flüchtlinge. Zugleich muss man aber Kriege in ihren politisch-geschichtlichen Kontext einordnen dürfen. Die NATO, die USA, Großbritannien, Deutschland unterstützten das 2014 durch einen Putsch an die Macht gekommene ukrainische Regime.

Im März 2014 entschied die Bevölkerung der Krim in einem Referendum mit über 90 Prozent der abgegebenen Stimmen, sich wieder Russland anzuschließen. Der Westen beschuldigte Russland der angeblich völkerrechtswidrigen Annektion der Krim. Auch die Bezirke Donezk und Lugansk in der ostukrainischen Region Donbass erklärten sich für unabhängig, weil sie sich nicht dem russophoben Regime Kiews unterordnen wollten. Kiew schickte das Militär und später rechte Freiwilligenbataillone, die in der sogenannten Antiterroroperation (ATO) gegen den Donbass kämpften. Beim Beschuss von Wohnvierteln kamen ab 2014 bis zum 24. Februar 2022 über 10.000 Menschen um, viele wurden verletzt oder mussten fliehen. Die meisten nach Russland.

In den Städten im Südosten der Ukraine gab es Proteste und Besetzungen öffentlicher Gebäude, die von der Putschregierung ab Ende April 2014 mit aller Härte niedergeschlagen wurden. Am 2. Mai 2014 kam es in Odessa in der Ukraine zu Ausschreitungen, die in dem Massaker im Gewerkschaftshaus gipfelten. Offiziell gab es Dutzende Tote und über 200 Verletzte. Viele derjenigen, die sich vor der Hitze aus den Fenstern retten wollten, wurden vor dem Gebäude vom rechten Mob totgeschlagen oder schwer verletzt.

Harald Kujat, General a. D. der Luftwaffe, von 2000 bis 2002 Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, erklärte kürzlich in einem Interview: "Russland hatte sich in den Istanbul-Verhandlungen offensichtlich dazu bereit erklärt, seine Streitkräfte auf den Stand vom 23. Februar zurückzuziehen, also vor Beginn des Angriffs auf die Ukraine. (…) Die Ukraine hatte sich verpflichtet, auf eine NATO-Mitgliedschaft zu verzichten und keine Stationierung ausländischer Truppen oder militärischer Einrichtungen zuzulassen. Dafür sollte sie Sicherheitsgarantien von Staaten ihrer Wahl erhalten. Die Zukunft der besetzten Gebiete sollte innerhalb von 15 Jahren diplomatisch, unter ausdrücklichem Verzicht auf militärische Gewalt gelöst werden."

Und ein noch ein Zitat von Harald Kujat zur Haltung Berlins im Rahmen von Minsk II. Ein Abkommen, abgeschlossen Ende 2014 und Anfang 2015, das die territoriale Integrität der Ukraine erhalten sollte. Zitat: "Russland bezeichnet das verständlicherweise als Betrug. Angela Merkel bestätigt, dass Russland ganz bewusst getäuscht wurde. (…) Die Bundesregierung hatte sich in der UNO-Resolution dazu verpflichtet, das 'gesamte Paket' der vereinbarten Maßnahmen umzusetzen. Darüber hinaus hat die Bundeskanzlerin mit den anderen Teilnehmern des Normandie-Formats eine Erklärung zur Resolution unterschrieben, in der sie sich noch einmal ausdrücklich zur Implementierung der Minsk-Vereinbarungen verpflichtete. (…) Ja, das ist ein Völkerrechtsbruch, das ist eindeutig. Der Schaden ist immens."

"Russland hat zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Konflikts seine Verhandlungsbereitschaft signalisiert, die immer wieder zurückgewiesen wurde – unter anderem von der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock", so Kujat weiter. Nein, die Ukraine bereitete sich vielmehr unter Führung der NATO umfassend auf einen Krieg mit Russland vor.

Seit dem 24. Februar 2022 wehrt sich die russische Führung militärisch gegen die direkte Bedrohung durch die NATO. Bislang gibt es in der Ukraine eine indirekte Unterstützung durch NATO-Waffenlieferungen. NATO-Chef Jens Stoltenberg sagte bereits in Feb 2023 dass der Ukraine Krieg bereits 2014 begann.

Und kürzlich hat Stoltenberg sogar eine baldige NATO-Mitgliedschaft der Ukraine offiziell angekündigt. Die Vorwarnzeit für Enthauptungsschläge auf russische Kommandostellen würde dann auf wenige Minuten sinken. Ukrainische Soldaten werden in Deutschland ausgebildet. Man fordert offen, dass Russland diesen Krieg "nicht gewinnen darf" bzw. "verlieren muss".

Was aber hat die russische Invasion in der Ukraine tatsächlich ausgelöst? Blicken wir auf die letzten Tage vor dem 24. Februar 2022 zurück. Am 14. Februar 2022 gab die US-Regierung bekannt, dass man einen Angriff Russlands auf die Ukraine am 16. Februar erwarte. Genau am 16. Februar begannen die vor der Kontaktlinie im Donbass zusammengezogenen ukrainischen Streitkräfte die Republiken Donezk und Lugansk immer stärker zu beschießen. Am 18. Februar war der Beschuss gegenüber dem 14. Februar um ein Vielfaches gestiegen. Russland sollte zweifellos zum Eingreifen provoziert werden, um Moskau dann Aggression vorwerfen zu können. Zwischen dem 16. und dem 19. Februar registrierte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine weitere Vervielfachung des Beschusses auf überwiegend zivile Ziele.

Mit massivem Artilleriebeschuss beginnt üblicherweise eine militärische Offensive. Dazu kam, dass am 19. Februar 2022 der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij auf der Münchner Sicherheitskonferenz erklärte, sein Land werde aus dem Budapester Memorandum (Erklärung zum Verzicht auf Atomwaffen) aussteigen, sofern es keine Sicherheitsgarantien des UN-Sicherheitsrates gebe. Damit stellte Selenskij in den Raum, dass die Ukraine über Atomwaffen verfügen wolle. Keiner der anwesenden westlichen Politiker protestierte gegen diese offensichtlich nuklearen Ambitionen der Ukraine.

Die OSZE registrierte ab dem 20. Februar eine nochmalige massive Steigerung des Beschusses. Schon am 18. Februar hatten die Donbassrepubliken die Evakuierung der Bevölkerung aus frontnahen Gebieten nach Russland organisiert. Militärisch konnten sie dem Druck vonseiten der Ukraine kaum noch standhalten und baten Moskau um Hilfe. Zugleich erkannte Moskau die Volksrepubliken am 21. Februar 2022 per Dekret als souveräne Staaten an. Am 22. Februar 2022 unterzeichnete Putin mit den Repräsentanten der Volksrepubliken einen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand.

Mit der NATO-Osterweiterung ist man schrittweise an Russland herangerückt. Moskau hat immer und immer wieder rote Linien aufgezeigt. Der Westen will aber nicht verhandeln. Wladimir Putin und die russische Regierung werden in den Medien ständig dämonisiert. Selenskij hat sogar Verhandlungen mit Russland unter Strafe gestellt. 1991, mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, bot sich für den Westen die Chance, den sowjetisch/russischen Machtapparat völlig zu kontrollieren und Zugriff auf die immensen Rohstoffressourcen zu bekommen. Rohstoffinteressen treiben Berlin schon seit mehr als 100 Jahren um.

Der sowjetische Ex-Staatschef Michail Gorbatschow hatte 1990 vor allem gegen den anfänglichen Widerstand Frankreichs und Großbritanniens der deutschen Wiedervereinigung zugestimmt. Laut einem offiziellen Protokoll des National Security Archive versicherte US-Außenminister James Baker gegenüber Gorbatschow "in Bezug auf die deutsche Wiedervereinigung", dass "weder der US-Präsident noch ich beabsichtigen, irgendwelche einseitigen Vorteile aus den stattfindenden Prozessen zu ziehen" und dass die USA die Bedeutung von Garantien für die UdSSR und Europa verstehen, "sich nicht einen Zoll von der derzeitigen militärische Zuständigkeit der NATO in östlicher Richtung auszudehnen".

Gorbatschow erwiderte: "Es versteht sich von selbst, dass eine Ausweitung der NATO-Zone nicht akzeptabel ist." US-Außenminister Baker bekräftigt: "Da stimmen wir zu." Zitatende. Seit 1990 sind aber 15 Staaten dem NATO-Bündnis beigetreten. Keinem dieser Beitritte hätte die NATO stattgeben dürfen, wenn sich das Bündnis an die oben zitierte Abmachung gehalten hätte.

Vor dem 24. Februar 2022 gab es immer wieder Berichte in den deutschen bürgerlichen Medien über die ultranationalistischen, neonazistische Elemente, die in der Ukraine gegen die eigene Bevölkerung vorgingen. Seit zwei Jahren, seit Kriegsbeginn, sind diese Berichte plötzlich verstummt. Das Außenministerium Polens, jüdische Gemeinden, prominente Historiker von Universitäten in den USA, Kanada, Deutschland, Polen, Russland und Israel protestieren jedes Jahr gegen die Ehrung von Stepan Bandera. Vor 2014, d. h. vor dem völkerrechtswidrigen Putsch in Kiew, wurde Bandera auch in der Ukraine als Kriegsverbrecher benannt. Die deutsche Regierung unterstützt die ukrainische Regierung und damit auch ultranationale, faschistoide Strukturen, die mit der militärischen und politischen Macht auf das Engste verknüpft sind.

Ukrainischen Flüchtlingen gegenüber bringe ich meine Solidarität zum Ausdruck. Viele dieser Menschen sind aus Angst geflüchtet. Und natürlich vertrete auch ich nicht den Standpunkt, dass die Mehrheit der Ukrainer nazistisches Gedankengut unterstützen. Aber für mich ist auch klar, dass viele Ukrainer von der jahrelangen Propaganda gegen alles Russische stark beeinflusst wurden. Die Schulbücher sind voller Russophobie, russischsprachige Bücher kommen ins Altpapier, russische Kulturgüter werden entfernt oder bekommen eine erfundene ukrainische Legende. Aber zugleich gibt es sehr viele Menschen, die Russland freundschaftlich gesonnen sind.

Die Ukraine braucht Frieden, keine Waffen!

Die ukrainische Gesellschaft hat in diesem Krieg bisher nur verloren, vor allem Hunderttausende Männer im wehrfähigen Alter. Zwangsrekrutierungen finden jetzt in vielen ukrainischen Städten statt. Es werden regelrechte Razzien durchgeführt, bei denen Menschen eingefangen werden. Die Lage an der Front ist desaströs für das ukrainische Militär. Alle Offensiven haben keinerlei Erfolg gezeigt.

Ich fordere von der deutschen Regierung eine politische Umkehr und die Umsetzung des Friedensgebots des Grundgesetzes, "dass von Deutschland nur Frieden ausgeht", und zwar im Interesse der internationalen Sicherheit und des friedlichen Zusammenlebens aller Völker. Die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen müssen respektiert werden.

Hochrüstung hat historisch in Deutschland stets zu militärischer Aggressivität geführt.

Ich fordere, alle Waffenlieferungen und Ausbildungsprogramme für die Ukraine einzustellen. Diplomatie statt Waffen. Wir brauchen Verhandlungen! Ich fordere, die aggressive Verleumdung Russlands und russischer Politiker durch Parteien- und Regierungsvertreter einzustellen; sie gefährden unsere Sicherheit. Frieden und ein gutes Leben in Europa gibt es nur mit Russland und nicht gegen Russland.

Russland und China sind diejenigen Weltmächte, die das Konzept der Multipolarität vorantreiben und als globale Gegengewichte zur westlichen Hegemonie handeln. Beide Länder und viele ihrer Partnerstaaten betonen, dass ihre Zusammenarbeit keinen Staat ausschließt, der sich der UN-Charta verpflichtet fühlt. Das globale Entwicklungsprojekt der Neuen Seidenstraße beruht auf den Prinzipien von Nichtinterventionismus und gegenseitigem Respekt. Es steht außer Frage, dass die globale Mehrheit und der Globale Süden dies unterstützten.

Zum hier verhandelten Gerichtsverfahren gibt es zahlreiche Interviews und Berichte in der deutschsprachigen Presse, und der Fall ist auch international bekannt geworden. US-Aktivisten von UNAC (United Anti-War Coalition) und Aktivisten des Odessa-Solidaritätskomitees haben eine Solidaritätskampagne initiiert, die von vielen internationalen Persönlichkeiten und Aktivisten unterstützt wird.

Das chinesische Staatsfernsehen hat mich interviewt, und der Fall kam im UN-Sicherheitsrat zur Sprache. Mein Freund, der Ex-CIA-Mitarbeiter und Antikriegsaktivist Ray McGovern, erwähnte das Verfahren, als er auf russische Einladung zu den Recherchen von Seymour Hersh Stellung bezog. McGovern berichtete von Friedensdemonstrationen in Deutschland, in denen "Verhandeln statt Schießen" gefordert werde. Dann verwies er auf das Verfahren gegen mich und kritisierte den drohenden Eingriff in die Meinungsfreiheit.

Als Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, von Frente Unido América Latina Berlin, als Mitglied im Ostdeutschen Kuratorium von Verbänden, als Vertreter des internationalen Antikriegsbündnis World Beyond War und als Mitglied im Beirat der Odessa-Solidaritätskampagne stehe ich heute gewissermaßen zusammen mit all diesen Gruppen vor Gericht.

Wenn jetzt hier erneut vor Gericht auf der Grundlage einer einseitigen Schuldzuweisung gegen Russland festgeschrieben werden könnte, nämlich dass Russlands Einmischung in den seit 2014 andauernden Krieg ein völkerrechtswidriger, gar mit imperialistischen Motiven brutal geführter Angriffskrieg gewesen sei, hätten wir alle verloren, auch vor diesem Gericht. Dies würde einen außerordentlichen Verstoß gegen Artikel 5 (1) des Grundgesetzes darstellen. Dort ist festgeschrieben, dass jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Lediglich die öffentliche Leugnung, Billigung oder Verharmlosung des Holocausts und von Naziverbrechen wird bestraft.

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