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Kiews Transformatoren-Abhängigkeit von Russland

Kiew benötigt leistungsstarke und teure Transformatoren sowjetischer Bauart zum Wiederaufbau der ukrainischen Energieinfrastruktur, die es in der EU und den USA nicht gibt. Die baltischen Staaten und Aserbaidschan wollen diese Anlagen liefern, doch könne das nur einen Bruchteil des Bedarfs der Ukraine abdecken.
Kiews Transformatoren-Abhängigkeit von RusslandQuelle: www.globallookpress.com © Sergei Chuzavkov

Eine Analyse von Aljona Sadoroschnaja und Jewgeni Posdnjakow

Die Bewohner Kiews berichten erneut von längeren Stromausfällen, wie der Telegram-Kanal der ukrainischen Publikation Strana am Montagabend meldete. Unter anderem war der nördliche Teil des Bezirks Obolon ab 15:00 Uhr von der Stromversorgung abgeschnitten, die voraussichtlich erst abends wiederhergestellt werden sollte.

Kürzlich sagte Wladimir Kudryzkyj, Leiter von Ukrenergo, in einem Interview mit der Financial Times, Kiew benötige Transformatoren aus der Sowjetzeit, um die zerstörte Infrastruktur wiederaufzubauen. Dem Artikel zufolge sind im ukrainischen Energiesystem solche Großgeräte noch aus der Epoche der Sowjetunion im Einsatz, sodass Transformatoren nach westlichem Standard für die Reparatur der meisten Knotenpunkte des Energiesystems gar nicht geeignet sind.

Beispielsweise fehlt es vor allem an 750-kV-Transformatoren, von denen jeder etwa 200 Tonnen wiegt. Der Chef des Unternehmens fügte hinzu, dass es gelungen sei, eine gewisse Anzahl von Einheiten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, darunter auch aus Litauen, zu beschaffen, was allerdings nicht ausreiche.

Infolge der russischen Angriffe seien mehr als 40 Prozent der Energieinfrastruktur des Landes lahmgelegt worden, schreibt die Financial Times. Zuvor, am 16. Dezember, hieß es in derselben Zeitung, dass Ukrenergo den Ausnahmezustand und einen landesweiten Stromausfall unter Verweis auf einen 50-prozentigen Verlust des nationalen Energiesystems erklärt habe.

Die Partner Kiews im Westen versprechen Hilfe, allerdings auf eine sehr ungewöhnliche Art und Weise: Die Kommissionspräsidentin der EU Ursula von der Leyen hat erklärt, dass die Europäische Union bereit sei, dem Land Stromgeneratoren zu liefern. Demzufolge werde die Ukraine 800 Notstrom-Generatoren erhalten, von denen 40 für die Versorgung von Krankenhäusern bestimmt sind. Es wurde angegeben, dass Frankreich 100 Generatoren, die Slowakei 19 und Deutschland 23 nach Kiew schicken werden. Darüber hinaus verspricht die EU, 30 Millionen Energiesparlampen für die Ukraine zu beschaffen.

Zudem hat Aserbaidschan auch humanitäre Hilfe in Form von Elektrogeräten in die Ukraine geschickt. Gemäß einer offiziellen Pressemitteilung der diplomatischen Vertretung des Landes lieferte Azerenergy JSC 45 Transformatoren und 50 Generatoren nach Kiew.

Experten betonen jedoch, dass sich die Kernprobleme des ukrainischen Energiesektors mit solchen Lieferungen nicht lösen lassen. Ihrer Einschätzung nach werden hundert zusätzliche Notstrom-Generatoren in einer Situation, in der etwa die Hälfte des gesamten Systems des Landes ohne Strom ist, kaum einen Unterschied bewirken. Im Grunde ist die gesamte ukrainische Energieinfrastruktur derzeit in einzelne Inseln zerfallen, die kaum noch miteinander vernetzt sind.

Heute gibt es faktisch mehrere unabhängige Teile der einst einheitlichen Energieinfrastruktur des Landes. Deren Nutzung dient momentan vorrangig dem Bedarf der Verteidigungsindustrie und der Verkehrsinfrastruktur, nicht mehr dem als nachrangig eingeordneten zivilen Bedarf. Die Wiederherstellung des zerstörten Energieverbundsystems ist angesichts des anhaltenden Beschusses äußerst schwierig, weil es derzeit nichts gibt, was die zerstörten Großgeräte ersetzen könnte, sagen Experten.

"Die Ziele der russischen Luftstreitkräfte sind Geräte ziemlich einzigartiger Einzelfertigung. Selbstverständlich haben alle vorausschauenden Betreiber in jedem Land einen Vorrat von 750-Kilovolt-Transformatoren, die sozusagen als 'heiße' Reserve zu Einsatz kommen können. Die Problematik für die Ukraine besteht jedoch darin, dass jede diese Anlagen bis zu 200 Tonnen wiegt und Dutzende von Millionen Dollar kostet. Wenn wir von dem jetzigen Bedarf an Transformatoren in der Ukraine sprechen, könnten sich die Gesamtkosten auf mehrere Milliarden Dollar belaufen", zitiert die Zeitung Wsgljad Aleksei Anpilogow, einen Fachmann auf dem Gebiet der Kernenergie, zugleich Präsident von "Osnowanie", einer Stiftung zur Unterstützung der wissenschaftlichen Forschung und Entwicklung ziviler Initiativen.

Er fügte hinzu, dass Litauen nach der Stilllegung des Kernkraftwerks Ignalina wahrscheinlich solche Transformatoren zur freien Verfügung hatte, von denen man offenbar einige an die Ukraine übergeben hat.

"Zuvor war die Rede von einzelnen Lieferungen, nun geht es aber um den ukrainischen Ausfall einer Vielzahl an Transformatoren im Höchstspannungsbereich von 110, 330 und 750 Kilovolt, die nicht mehr ersetzt werden können. Zudem dauert die Herstellung solcher Groß-Transformatoren ein halbes bis ein Jahr, einschließlich der Projektierung und der geografischen Anpassung", betonte der Experte.

Zugleich wäre Russland jedoch durchaus in der Lage, alle in der Ukraine zerstörten Transformatoren zu ersetzen und wiederherzustellen, vermutet Anpilogow. "Das Energiesystem der Ukraine hat eine Gesamtleistung von 50 bis 60 Gigawatt, während das russische Netz über 250 Gigawatt verfügt. Wir haben einen sehr großen Vorrat an Transformatoren, wie sie von der Ukraine benötigt werden, sowie auch zahlreiche Möglichkeiten für deren Produktion. In der Ukraine konnten solche Aufträge zum Beispiel von 'Saporoschtransformator' und 'Preobrasowatel' erledigt werden, doch diese Unternehmen waren bereits stillgelegt worden, noch bevor die militärische Spezialoperation Russlands begann, weil die ukrainischen Behörden diesem Wirtschaftsbereich keine angemessene Aufmerksamkeit mehr schenkten. Und nun hat Kiew, um diesen Industriezweig eventuell zu reanimieren, weder Fachleute noch technologisches Knowhow", erklärte der Gesprächspartner.

Was die USA betrifft, so werden sie nicht in der Lage sein, die benötigten Transformatoren für die Ukraine zu bauen, weil die beiden Länder völlig verschiedene Energiesysteme haben, erklärte dazu der Wirtschaftswissenschaftler Iwan Lisan. "Es gibt den Begriff der 'Spannungsebene', und in der Ukraine, die im letzten Jahrhundert eine Phase des Aufschwungs in der Reindustrialisierung erlebte, ist diese Spannungsebenen einzigartig: ein 750/330 Kilovolt-Netz mit einem Übergang von 330 auf 110 Kilovolt. Das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt, außer im europäischen Teil Russlands, und darin besteht die eigentliche Tragödie der Situation in der Ukraine", sagte er.

Im Allgemeinen werden weder in Europa, Asien noch in den Vereinigten Staaten jene Transformatoren hergestellt, die der höchsten Spannungsebene des ukrainischen Netzes entsprechen, stellte der Gesprächspartner fest. "Natürlich ist es möglich, die Infrastruktur neu zu schaffen, dafür müsste aber ein Teil der Produktionskapazität aus den Fabriken abgezogen werden, was mit enormen Kosten verbunden wäre", verdeutlichte Lisan.

Das, wonach die Ukraine sucht, habe Russland durchaus, fügte der Experte hinzu. "Die historische Vergangenheit der beiden Länder hat zur Folge, dass wir über Transformatoren verfügen, die in ihrer Beschaffenheit denen in Kiew ähneln. Russland ist daher das Land, welches das ukrainische Energiesystem nach dem Ende des Konflikts am ehesten wiederherstellen könnte. Außerdem verfügen wir über die Kapazität zur Produktion von Transformatoren. Wir sind in der Lage, jeden Bedarf zu decken ‒ es gelte bloß, die Fristen zu besprechen. Übrigens ist unser Land auch bereits mit diesem Thema befasst: In Mariupol wurden russische 220-Volt-Transformatoren installiert", erinnerte Lisan.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst veröffentlicht in Wsgljad.

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