Meinung

Nach NRW-Schlappe: Linken-Geschäftsführer auf NATO-Linie – und mit Distanz zur Friedensbewegung

Die Linke scheint nach dem alten Sponti-Spruch "Gestern standen wir noch am Abgrund, heute sind wir schon einen Schritt weiter" zu agieren. Absehbar macht sie sich überflüssig, indem sie ihre angestammte Wählerschaft vor den Kopf stößt: mit antirussischen Forderungen und der Abkehr von der Friedensbewegung.
Nach NRW-Schlappe: Linken-Geschäftsführer auf NATO-Linie – und mit Distanz zur FriedensbewegungQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Christian Spicker/www.imago-images.de

von Mirko Lehmann

In die ZDF-Sendung "Berliner Runde" zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai 2022 war auch der Bundesgeschäftsführer der Linken, Jörg Schindler, eingeladen – wie andere Vertreter der Bundestagsparteien auch. Denn noch gibt es ja eine Linksfraktion im Bundestag: Aufgrund der errungenen Direktmandate schaffte die Partei den Wiedereinzug in das Reichstagsgebäude, den sie ansonsten mit 4,9 Prozent knapp, aber sicher verfehlt hätte. Als die ZDF-Runde am Sonntag aufgezeichnet wurde, war bereits absehbar, dass die Linke auch diesmal nicht wieder in den Düsseldorfer Landtag kommen würde. Mit gut zwei Prozent befindet sie sich weit davon entfernt, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. So wurde denn auch der Linken-Vertreter gar nicht erst ausführlicher nach landespolitischen Themen gefragt.

"Ist das die Position Ihrer Partei?"

Nachdem Schindler also in seinem ersten Statement während der Sendung versucht hatte, mit den üblichen Wendungen die desolate Lage seiner Partei schönzureden, wurde er – die Redezeit für die kleineren Parteien in solchen Runden scheint nach Proporz geregelt zu sein – schließlich vom Moderator auf ein außenpolitisches Thema angesprochen. Konkret ging es dem ZDF-Mann um eine friedenspolitische Tagung, die für den 21. Mai geplant ist und an der neben vielen anderen prominenten Gästen von der Linkspartei auch die Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen, Andrej Hunko und Żaklin Nastić teilnehmen werden. So fragte der Moderator:

"Herr Schindler, kommende Woche wird es in Berlin einen Kongress geben mit dem Titel 'Ohne NATO leben – Ideen für den Frieden'. Da sitzen auch bekannte Personen Ihrer Partei auf dem Podium. In der Einleitung heißt es: 'Für Deutschland war und ist die NATO verhängnisvoll.' Ist das die Position Ihrer Partei?"

Jörg Schindler ließ sich nicht lange bitten – und distanzierte sich empört von der Veranstaltung, zu der sich übrigens auch eine Gabriele Krone-Schmalz, ein Eugen Drewermann oder ein Oskar Lafontaine angesagt haben:

"Nein. Ich will das auch so deutlich sagen, ich habe diesen Kongress auch im Vorfeld gesehen, und ich kann ausdrücklich sagen, das ist nicht die Position unserer Partei."

Beflissen macht Schindler deutlich, dass sich die Position der Linken zum Krieg in der Ukraine keinen Deut vom transatlantischen Mainstream unterscheiden würde:

"Unsere Partei hat zum Thema Ukraine-Krieg eine klare Position. Wir kritisieren und verurteilen den Angriffskrieg Putins. So einfach ist das, und da gibt es auch nichts anderes zu sagen."

Avancen an SPD und Grüne

Also: Es gibt "nichts anderes zu sagen"? Schindler zeigt, dass er als Bundesgeschäftsführer die Geschichte und Struktur des Konflikts um die Ukraine genauso einseitig und verkürzt sieht, wie das die etablierten Bundestagsparteien, die de facto NATO-Olivgrün-geführte "Ampel"-Regierung und die angeschlossenen Medien tun. "So einfach ist das." Keine Vorgeschichte, keine Einordnung, keine differenzierte Betrachtung. Größere Bemühungen um Verständnis und Einsicht in komplexe Zusammenhänge kann man von einem in die Politik gegangenen Juristen bei der Linken wohl nicht mehr verlangen.

Mit positivem Bezug auf den SPD-Mann Kühnert (denn Gemeinsamkeiten mit der SPD betonen manche Linke-Genossen gern) fuhr Schindler, in Fahrt gekommen, fort:

"Was wiederum die zweite Frage ist, und da will ich direkt bei Kevin Kühnert anknüpfen, ist die Frage, wie können wir jetzt in dieser Situation verantwortungsvoll so vorgehen, dass das nicht zu einem Dritten Weltkrieg wird. Und diese Frage müssen wir uns alle stellen. Und wer hier sofort den Masterplan hat, der soll aufstehen."

Immerhin: Schindler möchte keinen Dritten Weltkrieg. Wenn das nicht "verantwortungsvoll" ist! Und mahnt dann mit Emphase an, dass "wir uns alle" – wen meint er? – dieser Frage "stellen" müssten. Aber ebendiese "Frage" scheint für die Linke ja nicht mehr so dringlich zu sein. Siehe oben: die Distanzierung des Linken-Bundesgeschäftsführers von einem unabhängigen Friedenskongress. Der ist offenbar nicht gemeint, wenn es darum geht, "sich dieser Frage zu stellen". Als ein mögliches Diskussionsforum wird so ein Kongress von der Parteiführung der Linken nicht akzeptiert.

Einmal abgesehen von der dramatischen weltpolitischen Lage, wäre es nicht gerade eine hervorragende Gelegenheit für eine nicht gerade kraftstrotzende Partei, die sich bisher wenigstens gerne das Friedensthema auf die Fahne geschrieben hat, einen solchen Kongress, an dem noch dazu einige prominente (Ex-)Mitglieder und Abgeordnete beteiligt sind, für den politischen Dialog mit der Gesellschaft – hier konkret: der Friedens- und Antikriegsbewegung – zu nutzen?

Nein, Schindler gab sich weiter regierungstreu und forderte:

"Ich finde schon, dass wir genau in der Situation sind, wo wir natürlich abwägen müssen, wie können wir den Aggressor Russland unter Druck setzen, mit welchen Möglichkeiten es geht, zum Beispiel einem Ölembargo, zum Beispiel mit Sanktionen gegen Putins Schergen und zum Beispiel aber auch eine Stärkung des Völkerrechts und der Menschenrechte, da haben wir im Übrigen auch als Westen durchaus das eine oder andere nachzuholen, Stichwort Kosovo, Stichwort Türkei, Stichwort Afrin."

Für den Parteisoldaten Schindler, das Wort ist in diesem Zusammenhang wohl im doppelten Sinne berechtigt, steht außer Zweifel, dass Russland erstens der "Aggressor" und zweitens "unter Druck" zu setzen ist. Auch der Bundesgeschäftsführer zählt zu denjenigen, die Wahrheit und Moral ganz sicher auf ihrer eigenen Seite wähnen. Und der daher offensichtlich keine Skrupel kennt, weder als "Linker" noch gar als Deutscher, Russland "unter Druck" setzen zu wollen. Da hat jemand nach 1989 seine Lektion aus der Geschichte gelernt.

Im Stile dieser Selbstermächtigung, die man in der um die DDR vergrößerten Bundesrepublik spätestens seit dem Jugoslawienkrieg von 1999 kennt, möchte Schindler die Sanktionspraxis gegen Russland verschärfen ("Ölembargo") und spricht, ganz nach Art der NATO-treuen Boulevard-Presse, von "Putins Schergen", gegen die sich die an der UNO vorbei verhängten, also völkerrechtswidrigen Strafaktionen des Westens richten sollen. Auch wieder ohne zu sagen, wen er damit meint. Es scheint Schindler auch nicht aufzufallen, dass seine Forderung nach "Stärkung des Völkerrechts und der Menschenrechte", gelinde gesagt, in gewissem Spannungsverhältnis zu seinen antirussischen Strafgelüsten steht. Daran ändert auch nichts das nachgeschobene, pseudo-selbstkritische Eingeständnis, der Westen habe "durchaus das eine oder andere nachzuholen". Wie die von ihm angeführten Beispiele Kosovo, Türkei und Afrin demonstrieren, bemerkt Schindler nicht einmal, in welche intellektuellen und moralischen Widersprüche er sich bei seinen außenpolitischen Ausflügen verstrickt.

"Damit distanzieren Sie sich ..."

Und um ganz sicherzugehen, sprang Schindler brav über das Stöckchen, das der ZDF-Journalist ihm hingehalten hatte ("Damit distanzieren Sie sich von zwei Abgeordneten auf dem Podium Ihrer Partei.") – und distanzierte sich pflichtschuldigst nochmals von dem Friedenskongress:

"Das ist kein Kongress der Linken, ich will das so deutlich sagen, das ist kein Kongress der Linken. Und deswegen habe ich da auch überhaupt nichts damit zu tun und teile [nicht] die Position, die da vertreten werden sollte. Ich weiß ja nicht genau ... jedenfalls vertrete ich die von Ihnen beschriebene Position nicht, und das ist auch nicht Position der Partei."

Die Einlassungen dieses Linkspolitikers sind in doppelter Hinsicht fatal: Sie vergiften zusätzlich das, was an Resten der deutsch-russischen Beziehungen noch übrig ist, in unerträglicher Weise und werden, so viel ist gewiss, in Moskau nur weiteres Kopfschütteln über die Berliner Politik auslösen. Und innenpolitisch demonstriert wieder einmal ein führender Genosse der Linken, dass diese Partei ihre besten Jahre hinter sich hat. Wer dermaßen konzeptionslos dem Mainstream hinterläuft und mit den bisherigen friedenspolitischen Prinzipien der Partei bricht, nur um koalitionsfähig zu erscheinen und sich in einer Regierung "Fragen stellen" zu können, wird seine Organisation zielsicher und in Bälde überflüssig machen. Der "Berliner Runde" dürfte es recht sein: Sie wird es auch ohne die Schindlers von der ungeliebten Linken trotzdem noch weiterhin geben.

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