Wie eine böse Corona-Parodie: Neusser Grundschul-Broschüre zeigt maskierte Kinder in Müllsäcken
von Susan Bonath
Ihre Körper in eine an Kopf und Armen ausgeschnittene Mülltüte gehüllt, ihre Gesichter verborgen hinter einer OP-Maske - so praktizieren zwei Mädchen im Grundschulalter den "Ellenbogengruß". Das Foto stammt nicht von einem Werbeplakat der Bundesregierung, die für die brave Einhaltung der Corona-Regeln trommelt. Nein: Es ziert die Titelseite einer Broschüre der nordrhein-westfälischen Stadt Neuss, die Eltern über das im kommende Grundschuljahr informieren soll.
Dieses Foto, das wer weiß wie viele Eltern von Schulanfängern in den Händen halten werden, ist kein normales Foto. Es ist auch kein witziges Foto. Vollkommen unkommentiert prangt es wie eine böse Parodie auf die vergangenen zweieinhalb Corona-Jahre auf dem Deckblatt dieses Informationsheftchens.
Das Bild hat etwas Einschüchterndes, denn es suggeriert: In dieser Schule haben die Kinder lächelnd zu gehorchen. Man halte sich hier nämlich ganz besonders streng an die Corona-Regeln. Es schwingt gar eine Drohung an die Eltern mit: Ihr wollt eure Kinder nicht zu solidarischen Mitmachern erziehen? Das ist hier nicht erwünscht. Es wirkt wie ein Blick in eine düstere Zukunft, in der Lebensfreude und Spontanität einer autoritär verordneten Sterilität gewichen sein könnten. Möge es nicht so kommen.
Das Foto transportiert auch Missachtung vor, ja Abwertung der Persönlichkeit der Kinder, die sich noch nicht wehren können. Man steckt sie in Müllsäcke, als hätten sie die Pest. Bilder von verhüllten Intensivpflegern auf Corona-Stationen blitzen einem in den Kopf. Kinder werden nicht als Freude und Hoffnung der Zukunft, nicht als liebens- und schützenswert präsentiert, sondern als Virenschleudern, vor denen sich Erwachsene schützen. Wie gefährliche Objekte verschanzt man Kinder hinter Masken und Müllsäcken.
In Zeiten wie diesen sollte jeder wissen, dass man mit solchen Fotos, präsentiert an prominenter Stelle explizit für Eltern, genau solche emotionalen Gedankenexperimente auslöst. Klar sein müsste dies vor allem den Verantwortlichen einer Stadtverwaltung, mehr noch dem Lehrpersonal, dem die Schüler immerhin einen nicht unbeachtlichen Teil ihrer Kinder- und Jugendzeit unterworfen sind. Es ist schwer vorstellbar, dass keine Hintergedanken hegt, wer in solchen Zeiten ausgerechnet dieses Bild für eine Elternbroschüre auswählt.
In der Stadtverwaltung Neuss sieht man aber kein Problem. Es sei ganz anders gemeint, versicherte Stadtsprecherin Monika Vienken. Sie erläuterte auf Anfrage der Autorin, das Foto sei "im Rahmen einer interkulturellen Ferienaktion aufgenommen" worden. Müllsäcke, OP-Masken und Handschuhe trügen die etwa achtjährigen Kinder lediglich zum Schutz vor "Sprühnebel", da sie an einer "sehr gelungenen" Farbspray-Aktion teilgenommen hätten.
Allerdings sind auf dem Foto weder Spraydosen noch Farbflecke zu sehen, ebenso wenig ein Resultat dieser Aktion. Auch trägt das eine Mädchen gar keine Handschuhe; und ein Haarschutz wäre dann wohl auch nötig gewesen zum Sprayen. Es kann sich also nur um ein gestelltes Foto handeln, das wohl vor der Aktion aufgenommen wurde – im besten Fall.
Warum aber ließ man die Kinder sich nicht – draußen unter freiem Himmel, offenkundig im Sommer und fernab von akutem "Sprühnebel"! - auf normale Art und Weise begrüßen? Warum nimmt man für eine solche Elternbroschüre ausgerechnet ein Foto von Kindern in einer "Kleidung", die jeder aktuell mit Corona-Vollschutz assoziieren muss? Diese Fragen ließ die Neusser Pressesprecherin offen. Dazu muss sich wohl jeder selbst seinen Teil denken. Das Foto und seine Präsentation verrät in jedem Fall viel über die Macher.
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