Meinung

Der Weg zum Krieg − wie die EU den Maidan auslöste

Diese Woche liegt es neun Jahre zurück, dass die Probleme der Ukraine eingerührt wurden. Der Hauptkoch dabei nannte sich EU, und heute wird so getan, als wäre da nichts gewesen. Doch ohne das Ultimatum der EU würde die Ukraine bis heute im Frieden leben.
Der Weg zum Krieg − wie die EU den Maidan auslösteQuelle: www.globallookpress.com © Emeric Fohlen

Von Dagmar Henn

Der Maidan, die Dauerdemonstration in der Innenstadt von Kiew, die Ende November 2013 begann und das Vorspiel zum Putsch im Februar des folgenden Jahres darstellte, fiel nicht vom Himmel. Die demokratisch gewählte Regierung Janukowitsch hatte bereits seit längerem mit der EU über ein Assoziierungsabkommen verhandelt, wollte aber nachverhandeln. Dies wiederum verweigerte die EU und stellte im Frühjahr 2013 ein Ultimatum, die ukrainische Regierung müsse sich entscheiden.

Es war nachvollziehbar, warum die Ukraine nachverhandeln wollte. Nachdem von russischer Seite klar war, dass ukrainische Waren nicht länger zollfrei importiert würden, sobald EU-Waren zollfrei in die Ukraine gelangen, begriff die Regierung Janukowitsch, dass unter diesen Bedingungen die Assoziierung den ökonomischen Ruin bedeuten würde.

Schließlich wäre für den Export ukrainischer Produkte in die EU erforderlich, dass sie die EU-Normen erfüllen (richtig, diese Vorschriften über den Krümmungsgrad von Gurken etc.). In den meisten Fällen hätte das aber Investitionen bedeutet, die die Hersteller nicht bewältigen konnten. Folglich wären mit Russland der halbe Exportmarkt und die damit verbundenen Einnahmen weggefallen.

Die EU würzte ihr Ultimatum noch mit einer zusätzlichen Bedingung, die im Grunde unerfüllbar war: Sie forderte die Freilassung von Julia Timoschenko, die in der Ukraine wegen Korruption in Haft saß. Timoschenko war eine der Hauptfiguren der ersten, der Orangenen Farbrevolution in der Ukraine gewesen, also eine etablierte Vertreterin westlicher Interessen. Korrupt war sie allerdings tatsächlich, und man hätte zwar fordern können, die Haftanstalten mit vielen weiteren ihrer Kollegen zu bestücken, aber die Forderung nach ihrer Freilassung hatte nicht wirklich viel mit rechtsstaatlichen Grundsätzen zu tun.

Angela Merkel sollte Timoschenko nach ihrer Freilassung in Berlin begrüßen. Die Dame verbrachte dann einige Tage in der Charité, angeblich wegen eines Bandscheibenvorfalls. Aufnahmen ihrer Freilassung und späterer Auftritte legen aber nahe, dass ein Lifting zumindest Teil des Behandlungsprogramms war.

Die Regierung Juschtschenko, deren Mitglied Timoschenko zuvor gewesen war, hatte übrigens bereits Stepan Bandera zum ukrainischen Nationalhelden erklärt und die zugehörige Ideologie gefördert. Janukowitsch hatte diesen Schritt rückgängig gemacht, die Putschregierung stellte den Nazi-Kollaborateur dann wieder aufs Podest. Es war also bereits vor 2014 erkennbar, in welche Richtung sich eine "pro-europäische" Ukraine entwickeln würde. Das hat aber die EU-Vertreter nie davon abgehalten, dieses politische Personal in der Ukraine zu fördern.

Timoschenko wurde geradezu zur demokratischen Heldin stilisiert, obwohl sie sich an der Gasversorgung um Milliarden bereichert hatte. Wie demokratisch die Gesinnung der Gasprinzessin wirklich ist, zeigte sie nach dem Massaker von Odessa, als sie die Täter dafür lobte, sie hätten erfolgreich die Besetzung eines öffentlichen Gebäudes verhindert.

Ökonomisch wie politisch war ein Kurs zwischen Russland und der EU für die Ukraine der vernünftigste. Aber die EU hatte bereits vor 2014 die Assoziierung massiv beworben, unter Beteiligung sämtlicher deutscher Parteistiftungen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung beispielsweise finanzierte und förderte nicht nur Klitschkos Partei "Udar", sie schulte auch Funktionäre von Swoboda − einer Partei, die unverkennbare Nazibezüge hatte. Auch die Stiftung der Grünen war in der Ukraine besonders aktiv. Insbesondere in den Jugendlichen der Hauptstadt galt es, die Illusion zu wecken, mit einer Mitgliedschaft der Ukraine in der EU begänne für sie ein besseres Leben.

Die Erzählung, die darüber in der EU gesponnen wurde, lässt sich ganz gut einem Interview entnehmen, welches der damalige Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, Hannes Swoboda, dem Deutschlandfunk gab.

"Dort, wo Putin sagt, ihr müsst entweder mir folgen oder nach Brüssel, das ist die Alternative, da sehen wir ja, dass der Einfluss, der negative Einfluss und vor allem auch die Möglichkeit, hier etwas für die Menschen zu tun, natürlich schwindet. Nochmals: Putin hat ja nicht ein Interesse, die Lebensbedingungen in der Ukraine zu verändern, die Wirtschaft zu modernisieren, die Rechtsstaatlichkeit zu stärken. Das ist ja nicht in Putins wesentlichem Interesse."

Noch einmal für die ökonomisch Begriffsstutzigen: Für Russland wäre eine offene Grenze für die Waren aus der EU eine wirtschaftliche Katastrophe gewesen. Mit der Assoziierung der Ukraine und der damit einhergehenden Zollfreiheit zwischen der Ukraine und der EU war also die Errichtung von Zollgrenzen zur Ukraine eine Notwendigkeit. Das wusste jeder der Beteiligten.

Das sind ökonomische Tatsachen, auf die jede russische Regierung hätte reagieren müssen. Daraus etwas wie "Putins Interesse" zu spinnen, zeigt, wie tief die politische Kommunikation bereits damals gesunken war. Die EU-Bürokraten wussten auch genau, dass das die ukrainische Wirtschaft ihren wichtigsten Markt kosten würde, und zwar ersatzlos.

Selbstverständlich hätte es Möglichkeiten gegeben, dieses wirtschaftliche Problem zumindest zu verringern, etwa indem die Anwendung der EU-Normen auf ukrainische Exportprodukte erst nach einer Übergangszeit in Kraft getreten wäre. Die EU wollte aber keine Kompromisse eingehen und setzte lieber auf einen Sturz der Regierung Janukowitsch. Die Freilassung Timoschenkos, die eine politische Unterwerfungsgeste war, wurde sogar zur unabdingbaren Voraussetzung jeglicher Gespräche erklärt.

Interessant an dem Interview von Hannes Swoboda ist seine Behauptung, Russland habe der Ukraine das Gas zu teuer verkauft. Tatsächlich war es stets unter Marktpreisen verkauft worden. Dafür war es dann eine der ersten Forderungen des IWF an die Putschregierung, die Gaspreise für die ukrainischen Bürger auf das europäische Marktniveau heraufzusetzen, was sie vervielfachte und die Armut massiv erhöhte, ähnlich, wie es im Gefolge der Sanktionen nun in Europa selbst geschieht.

Swoboda gab in diesem Interview sogar zu, dass Timoschenko mitnichten der Unschuldsengel war, für den man sie ausgab: "Die Konzentration allein auf eine Person, von deren Unschuld eigentlich wenige wirklich überzeugt sind, das war sicherlich ein Fehler." Dennoch, die monatelange Berichterstattung, die in den deutschen Fernsehsendern mit einer Maidan-Sondersendung nach der anderen geradezu monströse Ausmaße annahm, betonte immer, bei Julia Timoschenko handele es sich um ein armes, unschuldiges Opfer des nach Russland orientierten Präsidenten Janukowitsch.

Die Demonstrationen, die als Euromaidan bekannt wurden, begannen, nachdem Janukowitsch Mitte November erklärt hatte, auf das Ultimatum der EU nicht einzugehen, und waren durch einige Eigenartigkeiten gekennzeichnet. Es gab Unmengen von EU-Fahnen, die irgendwoher kommen mussten; es gab eine gigantische Bühne mit entsprechender Lautsprecheranlage; Details, die belegen, dass von Anfang an Geld geflossen sein muss, um diese Proteste zu fördern.

Seitens der Regierung wurde es lange zugelassen, dass Demonstranten auf dem zentralen Platz kampierten, Küchen einrichteten, dass sie Verwaltungsgebäude belagerten oder erstürmten. Erst auf die zunehmende Gewalt reagierte sie mit dem Versuch, das Demonstrationsrecht zu verschärfen, indem beispielsweise ein Vermummungsverbot eingeführt werden sollte. Etwas, das in so gut wie allen EU-Ländern Gesetz ist, aber, als es in der Ukraine eingeführt werden sollte, sofort als undemokratisch verdammt wurde.

Erste Berichte über die prominente Rolle, die ukrainische Nazis bei diesen Protesten spielten, gab es bereits 2013. Kurz nach dem Putsch im Februar gab es sogar noch eine Dokumentation der BBC, in der erwähnt wurde, dass die Truppen des Rechten Sektors, die sich auf dem Maidan mit besonderer Brutalität hervorgetan hatten, im von ihnen besetzten Kiewer Gewerkschaftshaus einen Folterkeller eingerichtet hatten.

Victoria Nuland, die US-Außenpolitikerin, die durch das Verteilen von Keksen auf dem Maidan bekannt wurde, hatte im Februar 2014 öffentlich erklärt, man habe 5 Milliarden Dollar in den Umsturz in der Ukraine gesteckt. Der Betrag dürfte nicht ganz reichen, denn neben den US-Stiftungen, den üblichen Verdächtigen, wie US-AID und National Endowment for Democracy, waren auch noch viele Organisationen aus EU-Ländern engagiert, wie die oben erwähnten deutschen Parteistiftungen. Dass ein solches Engagement im Gegenzug dann dazu führte, dass der Charakter der mitausgelösten Proteste verzerrt dargestellt und die Rolle ukrainischer Nazis verschwiegen wurde, ist dann die direkte logische Konsequenz.

Welches Ausmaß die Gewalt seitens der "friedliebenden pro-europäischen Demonstranten" hatte, wurde in hunderten Stunden Sondersendungen nicht gezeigt. Dass die ukrainische Polizei nach dem damals gültigen Polizeirecht nicht einmal zur Verteidigung des eigenen Lebens Gewalt einsetzen durfte, ohne einen Befehl dazu erhalten zu haben − ein solcher Befehl aber nicht erging −, wurde nie berichtet. Schon gar nicht, dass diese Umstände viele Polizisten das Leben kosteten, die mit Molotow-Cocktails mit einer Napalm-ähnlichen Mischung beworfen wurden.

Im Gegenteil. Die Berichterstattung setzte darauf, dass sich das westliche Publikum zu Helm und Schild Pfefferspray und Pistole dazudenken würde und so eine Polizeigewalt sehen würde, die es nicht gab. "Die Maßnahmen der Polizei gegen die fanatischen Swoboda-Militanten wirken hilflos und unentschlossen", berichtete damals Ulrich Heyden. Wenige Tage vor dem Putsch hatte die Partei Swoboda ihre Mitglieder aufgefordert, mit Schusswaffen zu erscheinen...

Am Wochenende vor dem Putsch gab es ein weiteres Ereignis, das hätte aufhorchen lassen müssen − den Überfall von Swoboda- und Udar-Anhängern auf Busse von Anti-Maidan-Demonstranten von der Krim. Diese Gegendemonstrationen wurden im Westen verschwiegen, vor dem Putsch wie danach.

An diesem Tag wurden die Busse auf der Autobahn angehalten. Es gibt Videos, die zeigen, wie die Demonstranten, die aus den Bussen geholt wurden, vor diesen auf den Scherben der zerschlagenen Fenster knien und gedemütigt werden. Dieser Überfall forderte mehrere Todesopfer und hatte gewaltigen Einfluss auf die weitere Entwicklung auf der Krim. Auch dieses Ereignis muss in den Entscheidungszentralen der EU bekannt gewesen sein, ehe die Putschregierung anerkannt wurde.

Nichts von alledem, nicht der Maidan, nicht der Putsch, nicht der Bürgerkrieg, hätte stattgefunden, hätte die EU nicht dieses Ultimatum gestellt. Jeder Beteiligte wusste, dass die Ukraine ein gespaltenes Land war − das zeigte sich bei jeder Wahl erneut. Statt einen Weg zu suchen, diese Spaltung zu überwinden, schuf die EU eine Situation, in der eine Seite die andere unterwerfen sollte.

Diese Strategie war zuvor bereits im Umgang mit den baltischen Ländern genutzt worden, in denen entgegen der eigentlich in der EU für den Umgang mit Minderheiten geltenden Regeln ein minderwertiger Status für Bürger russischer Abstammung akzeptiert wurde. Aber die baltischen Länder sind klein; selbst wenn diese Politik zu heftigeren Auseinandersetzungen geführt hätte, wären sie im Format einer Wirtshausschlägerei geblieben. In der Ukraine aber ging es um die Hälfte eines Landes mit vielleicht 40 Millionen Einwohnern. Es muss in Brüssel wie in Berlin klar gewesen sein, dass damit die Lunte an einen Bürgerkrieg gelegt wurde.

Mehr zum Thema - Ukraine: Seit acht Jahren ist Bruderkrieg – "Die Welt" entdeckt ihn heute

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.

Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.