Meinung

Belgrad, Bagdad, Kiew: Die Heuchelei des Westens

Die Bilanz der Kriege des Westens verdeutlichen die Heuchelei der USA und der Europäischen Union, die sich schnell als Verteidiger der ukrainischen Witwen und Waisen sowie der nationalen Integrität und Souveränität aufspielen, meint Pierre Lévy.
Belgrad, Bagdad, Kiew: Die Heuchelei des WestensQuelle: AFP © Patrick BAZ

Von Pierre Lévy

Mittwoch, 24. März 1999. Eine Lufthorde der NATO stürmt auf Belgrad zu. Der Bombenhagel, der auf Serbien niedergeht, dauert 78 Tage lang. Das Land wird schließlich gezwungen, die Abspaltung des Kosovo zuzulassen, was den Auftakt zur Ausrufung der Unabhängigkeit dieser historischen serbischen Provinz bildet, in der ein riesiger US-amerikanischer Militärstützpunkt errichtet wird. Slobodan Milošević, den der Westen zu stürzen geschworen hatte, wurde im darauffolgenden Jahr überrollt. Die Zahl der Todesopfer sowie die Zerstörung der Infrastruktur und der Industrie sind erschreckend. Heute sind einige der ehemaligen jugoslawischen Republiken von der EU verschluckt, während andere zu Konfetti gebrechlicher Staaten reduziert und an das atlantische Lager angedockt wurden. Nur Serbien versucht, sich dem stärker werdenden Druck ein wenig zu widersetzen.

Donnerstag, 20. März 2003. Bagdad wird von einem Hagelsturm aus Stahl und Feuer heimgesucht. In einer Nacht fallen auf die irakische Hauptstadt mehr Bomben und Raketen als auf die Ukraine in den ersten zwei Monaten des Krieges. Im Visier der US-Amerikaner und ihrer Verbündeten – außer Frankreich und Deutschland – stand Saddam Hussein. Der Vorwand war das Vorhandensein von "Massenvernichtungswaffen", von denen heute feststeht, dass sie nie existiert haben. Der "Zweite Irakkrieg" dauerte mehr als acht Jahre und erfüllte beinahe den Wunsch von US-Außenminister James Baker aus dem Jahr 1991, das Land "in die Steinzeit" zurückzuversetzen. Dabei hatte das Martyrium des Landes bereits ein Jahrzehnt zuvor mit einem Embargo begonnen, das schreckliche Folgen hatte. Als die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright einige Jahre später auf die 500.000 Kinder angesprochen wurde, die wegen fehlender medizinischer Versorgung und Nahrung starben, sagte sie: "Ja, es war den Preis wert."

Der Krieg und die Besatzung brachten den sogenannten Islamischen Staat hervor. Der Irak ist heute ein wirtschaftlich ruinierter und politisch gescheiterter Staat. Der Zustand Afghanistans, das nach der Invasion von 2001 zwanzig Jahre lang unter westlicher Knute stand, ist noch katastrophaler. Auch Syrien stand im Visier des Westens, der davon geträumt hatte, Baschar al-Assad zu stürzen. Da dieses Ziel nicht erreicht wurde, strangulierte man das Land nun wirtschaftlich. Und was ist mit Libyen, das 2011 Luftangriffen ausgesetzt wurde, um Oberst Ghaddafi loszuwerden? Es ist nun ein "failed state" (gescheiterter Staat), in dem sich mehr als zehn Jahre später Clans bekämpfen, ohne dass eine legitime Macht entsteht, und dies ebenfalls vor dem Hintergrund einer zerrütteten Wirtschaft.

Diese aufschlussreiche Bilanz bedeutet nicht, dass man jede kritische Haltung gegenüber dem russischen Einmarsch am 24. Februar aufgeben muss. Sie verdeutlicht jedoch die Heuchelei der USA und der Europäischen Union, die sich schnell als Verteidiger der ukrainischen Witwen und Waisen sowie der nationalen Integrität und Souveränität aufspielen. Vor allem aber unterstreicht sie die Nichtigkeit des von westlichen Politikern ständig wiederholten Mantras, wonach Moskau durch seine Aggression die "regelbasierte internationale Ordnung, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden ist", zerstört habe. Die Realität ist eigentlich, dass das atlantische Lager nach der Auslöschung der UdSSR davon überzeugt war, ihm sei alles erlaubt.

Zu den Folgen der westlichen Kriege gehört die Entstehung massiver Auswanderungswellen. Nach einem Höhepunkt in den Jahren 2015 und 2016 ist die heute bevorstehende Migrationswelle eine Quelle der Angst für die EU-Staats- und Regierungschefs, denn sie befürchten einen weiteren Anstieg des "Populismus". Nach der Aufhebung der Corona-Beschränkungen ist die Zahl der Migranten, die über die westlichen (Marokko), zentralen (Libyen) oder östlichen (Türkei, Balkan) Mittelmeerrouten ankommen, dabei, sich zu verdoppeln oder sogar zu verdreifachen. Doch trotz jahrelanger Verhandlungen sind sich die 27 Mitgliedsstaaten weiterhin uneins über Asylverfahren und die "Lastenverteilung".

Dies hat bereits zu einer diplomatischen Krise zwischen Paris und Rom geführt und könnte nun, nach der Energie- und Wirtschaftskrise – allesamt Themen, die die Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedsstaaten nähren – ein neues, explosives Thema für Konfrontationen darstellen. Während Kroatien beispielsweise auf dem Weg ist, dem Schengen-Raum beizutreten, könnte seine Nordgrenze von Slowenien abgeschottet werden, das wiederum auf die restriktiven Maßnahmen Österreichs reagiert – und so weiter und so fort. Dadurch wird die Freizügigkeit, einst Stolz der europäischen Integration, in Stücke gerissen. Das geht so weit, dass einige in Brüssel den Beginn einer Desintegration befürchten.

Das wäre doch nur eine gerechte und verdiente Konsequenz.

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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.