Meinung

Kein Ausweg aus dem Drogenkrieg in Mexiko? Nicht ohne sozialen Wandel

Der "Krieg gegen Drogen", den Mexiko seit 2006 ohne sichtbaren Erfolg führt, hat inzwischen über 400.000 Menschenleben gekostet. Die meisten Getöteten waren Regierungsloyale oder Unbeteiligte, die zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Zeit für ein Umdenken, findet Lateinamerika-Experte Oleg Jassinski.
Kein Ausweg aus dem Drogenkrieg in Mexiko? Nicht ohne sozialen WandelQuelle: www.globallookpress.com © Jair Cabrera Torres/dpa

Von Oleg Jassinski 

In Mexiko kommen auf einen drogenbedingten Todesfall zwölf Tote, die der "Krieg gegen die Drogen" fordert, wobei die meisten der Getöteten zufällige Passanten sind. 

Der Drogenhandel wird von den Behörden kontrolliert, die vor 17 Jahren den Krieg gegen die Drogen erklärt haben. In den meisten Provinzen liegt die wahre Macht in den Händen bewaffneter Drogenkartelle. In den letzten Jahren haben sich die mexikanischen Kartelle zu vollwertigen transnationalen Unternehmen entwickelt und kontrollieren das Drogengeschäft in Kolumbien, Peru und Ecuador. Zuletzt haben sie ihre kriminellen Aktivitäten sogar in Chile aufgenommen.

Tausende ehemaliger Militärs wurden von den Kartellen angeworben. Ihre Gehälter sind nun um ein Vielfaches höher als zuvor. Andererseits wurden Zehntausende von Polizeibeamten in die Armee versetzt, um deren Kampfkraft zu erhöhen.

Die Morde und Entführungen führender Persönlichkeiten der Gesellschaft sowie von Journalisten, die den Behörden nicht genehm sind, werden dem organisierten Verbrechen angelastet, ohne zu erwähnen, dass dieses von oben organisiert und bewaffnet wird, und zwar von denjenigen, deren Aufgabe es ist, es zu bekämpfen. Die Zahl der Opfer des "Krieges gegen die Drogen" in Mexiko, den die Regierung im Jahr 2006 offiziell begonnen hat, beläuft sich nach offiziellen Angaben zwischen Januar 2006 und Mai 2021 auf etwa 350.000. Die Zahl schließt nicht die 72.000 Mexikaner ein, die als "vermisst" gelten. Das bedeutet schlicht, dass sie entführt, ermordet und heimlich verscharrt wurden. Ihre Leichen werden fast jede Woche in dem Land gefunden, das zu einem riesigen Massengrab geworden ist.

Die wirklichen Kriminellen unter den in Clan-Kämpfen und bei Auseinandersetzungen mit der Polizei Getöteten machen nicht mehr als 15 Prozent der Gesamtzahl der Opfer aus. Der Rest sind Passanten und Mexikaner, die der "Kollaboration" mit den Behörden verdächtigt wurden.

Dabei ist die oberste Behörde an ihrer Spitze – auf der Ebene der DEA, der Drug Enforcement Administration, die dem US-Justizministerium untersteht – eher ein Verwalter der Drogenwirtschaft als ihr Feind. Die USA sind der Hauptabnehmer von Drogen, und die Händlerstrukturen dort sind die Hauptnutznießer des Geschäfts. Von dem Riesenumsatz bleiben in den Erzeugerländern außer den Hunderttausenden von Toten nicht mehr als fünf Prozent hängen.

Alle Verbote und militärischen Operationen gegen den Drogenhandel sind eher ein Theater, um die Marktpreise hoch zu halten. In Kolumbien ist die Militär- und Polizeipräsenz in den Koka-Anbaugebieten am stärksten. Die kolumbianische Armee und Polizei werden direkt von den USA finanziert. Die proamerikanische Regierung des Landes hat ein Agrarmodell geschaffen, bei dem die hungernden Bauern vom Koka-Anbau profitieren und die einzigen Arbeitsplätze in den Städten mit der höchsten Arbeitslosigkeit in der organisierten Kriminalität zu finden sind.

Es heißt, dass die wöchentlichen Einnahmen eines durchschnittlichen peruanischen Kartells das gesamte staatliche Budget für die Bekämpfung der Kartelle um ein Vielfaches übersteigen. Der Drogenhandel beteiligt sich aktiv an der Demokratie, indem er in den meisten lateinamerikanischen Ländern Präsidentschaftswahlen finanziert. Oft setzt er gleichzeitig auf beide der politisch konkurrierenden Kräfte.

Dazu kommt, dass der Drogenhandel ein perfekter Vorwand für die fortgesetzte militärische und politische Einmischung der USA in die Angelegenheiten aller Länder der Region ist. Und wenn man ein wenig tiefer in den Mottenkisten der Geschichte wühlt, entpuppen sich die Drogenkartelle in Lateinamerika als ein ebenso ausfallsicheres Produkt der US-Geheimdienste wie Al Qaida, ISIS oder die Regierung in Kiew.

Die Lösung für das Problem des Drogenhandels und des damit verbundenen internationalen Megageschäfts liegt nicht in der Verstärkung der Repressionen, sondern in der Schaffung menschenwürdiger Lebensbedingungen für die Menschen in den Ländern, die die Rohstoffe produzieren, sowie in einem Wertewandel in den konsumierenden Gesellschaften. Anstelle des Wunsches nach einer chemisch erzeugten Flucht aus der unerträglichen Realität sollten die Menschen das Bedürfnis haben, sie zu verändern.

Oleg Jassinski (englische Transliteration Yasinsky), ein aus der Ukraine stammender Journalist, lebt überwiegend in Chile und schreibt für RT Espanol sowie unabhängige lateinamerikanische Medien wie Pressenza.com, Desinformemonos.org. Er forscht über indigene und soziale Bewegungen in Lateinamerika, produziert politische Dokumentarfilme in Kolumbien, Bolivien, Mexiko und Chile. Außerdem ist er bekannt als Übersetzer von Texten von Eduardo Galeano, Luis Sepúlveda, José Saramago, Subcomandante Marcos und anderen ins Russische. Man kann ihm auch auf seinem Telegram-Kanal folgen.

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