Meinung

Hans-Georg Maaßen oder: Wozu bastelt man sich Nazis?

Schon eigenartig, wenn eine Behörde ihren ehemaligen Chef überwacht. Noch eigenartiger, wenn sie ihm bei dieser Gelegenheit entweder bösartig etwas unterstellt oder aber die Verfassung gar nicht mehr kennt, die sie schützen soll. Und das noch Teil eines antidemokratischen Gesamtkunstwerks ist.
Hans-Georg Maaßen oder: Wozu bastelt man sich Nazis?Quelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Manfred Segerer

Von Dagmar Henn

Vorab: Ich erinnere mich noch an echte Nazis. In München reichte es vor vierzig, fünfzig Jahren noch, im Stadtzentrum linke Flugblätter zu verteilen, um mindestens alle fünf Minuten erklärt zu bekommen, man gehöre in ein Arbeitslager, alle zehn, man solle erschossen, und einmal die halbe Stunde, ins Gas geschickt werden. Erst viele Jahre später wurde mir klar, dass das nicht einfach nur unangenehme Passanten waren. Aber die tiefe Menschenverachtung, die in diesen Momenten zu spüren war (und die ich damals für normal hielt), die kann man wiedererkennen. Das ist nicht einfach nur Wut oder Zorn, wie man sie überall finden kann. Das ist etwas weit Bösartigeres. Diejenigen, denen man damals begegnete, waren mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht Menschen mit aggressiven Fantasien, sondern die echten Mörder; das Alter jedenfalls passte.

Als ich mich im Frühjahr 2014 gründlicher mit den Akteuren in der Ukraine befasste, erkannte ich sie sofort wieder. Es war diese tief eingegrabene Erinnerung, die mich dazu brachte, den Ereignissen nach dem Putsch weiter zu folgen, den 2. Mai 2014 in Odessa zu sehen und meinen Standpunkt an der Seite des Donbass zu finden. Oder eben jetzt an der Seite Russlands.

Wenn ich die Aussagen lese, die ich von Hans-Georg Maaßen finde, dann ist da genau diese Art der Menschenverachtung nicht. Ganz im Gegensatz zu den Aussagen vieler israelischer Politiker derzeit, nebenbei gesagt. Ich wäre mir mit Sicherheit an vielen Punkten extrem uneins mit ihm, aber an vielen anderen Punkten überraschend einig. So hat er beispielsweise in der Schweizer Weltwoche das Bündel der von der Ampel vollzogenen Gesetzesänderungen kommentiert; und ich hätte diesen Kommentar bis zum letzten Wort unterschreiben können, denn auch ich hatte mich an den unscharfen Rechtsbegriffen, der maßlosen Erweiterung der Zielgruppen staatlicher Maßnahmen, gestört.

Wenn derzeit nicht nur die absurde Vorstellung der Kontaktschuld schon gar nicht mehr in Zweifel gezogen, sondern sogar noch auf den zweiten Grad erweitert wird (hat jemanden getroffen, der jemanden kennt, der), dann frage ich mich, was diese Leute dann sagen würden, sollte ich einmal mit Maaßen einen Kaffee trinken: Wäre ich dann hinterher Nazi oder er ab dann Kommunist?

Und nein, das ist jetzt keine überschießende Fantasie. Maaßen hat selbst die Antwort des Bundesamts für Verfassungsschutz, die Informationen über seine Person betreffend, veröffentlicht. Die "Verbindungen zur Reichsbürger-Szene" bestehen dabei tatsächlich darin, dass in einem Brief einer dritten Person an den Rollator-Putsch-Angeklagten Heinrich Reuß Maaßen positiv erwähnt wird; dass jemand, der irgendwie dem Umfeld der Rollator-Truppe zugerechnet wird, ein Video von ihm geteilt hat und Maaßen selbst das Vorgehen um den Rollator-Putsch als unverhältnismäßig bezeichnet und gesagt hat, dieser sei "für einen PR-Coup benutzt" worden.

Noch ein Punkt, an dem wir uns einig sind. Habe ich dann jetzt auch "Verbindungen in die Reichsbürger-Szene" oder ist Maaßen doch ein Kryptokommunist? Weder das eine noch das andere; es zeigt nur, wie sehr es gelungen ist, die Maßstäbe zu verschieben und politische Differenzen gleichsam per se zu inkriminieren. Die Art und Weise, wie Einordnungen getroffen und Eigenschaften zugeschrieben werden, überschreitet noch die Exzesse der Kommunistenjagd der Adenauer-Zeit, als das Tragen einer aus der Hauptstadt der DDR stammenden roten Nelke in Westberlin zu einem Strafverfahren führen konnte – bei der heute akzeptierten Argumentation würde es genügen, dabei gesehen worden zu sein, wie man jemandem die Hand gegeben hat, der eine rote Nelke trug, die vermutlich aus der DDR stammt.

Maaßen ist ein strammer Antikommunist, was jede reale Kommunikation zwischen uns vermutlich schwierig machen würde, und er hält das, was die Kamarilla der Milliardäre plant, für "Sozialismus" (wenn Bill Gates nach der Maßgabe "jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung" entlohnt würde, müsste er sich von Dosenravioli ernähren). Aber es ist absolut unvorstellbar, dass er sich irgendjemandem gegenüber so äußern würde, wie das die oben erwähnten Münchner Nazis taten. Er wäre in vielen Punkten ein erbitterter Gegner, aber einer mit Ehre.

Als Merkel ihn in den vorzeitigen Ruhestand schickte, war der Grund sein Widerspruch gegen die vermeintlichen "Ausländerjagden" in Chemnitz. Die es, davon überzeugten mich damals sowohl die Umstände des ursprünglichen Vorfalls als auch das Videomaterial von der Demonstration an jenem Tag, tatsächlich nie gegeben hat. Maaßen hat die Wahrheit verteidigt und wurde dafür in den Ruhestand geschickt. Das ist es, was ich mit Ehre meine. In den vergangenen Jahren, schon vor Corona, aber erst recht danach, habe ich viel zu viele sich wegducken gesehen.

In der ganzen Geschichte um Maaßen, die lose mit dem Correktiv-Skandal verknüpft ist, taucht übrigens ein alter Bekannter wieder auf. Zu Maaßen hätten, heißt es, das ARD-Magazin Kontraste und t-online, das Portal des Werbeunternehmens Stroer, gemeinsam recherchiert. Der Autor von t-online heißt Lars Wienand. Er war schon mehrfach Ausgangspunkt von Medienangriffen gegen verschiedene, als prorussisch "eingeordnete" Hilfsorganisationen, und seine Texte legen nahe, dass er, wenn er nicht unmittelbar für zwei Arbeitgeber tätig ist, dem bundesdeutschen Verfassungsschutz zumindest äußerst nahesteht. Wienand als zentrale Gestalt bei diesem Angriff auf Maaßen bedeutet, es war unmittelbar die Behörde, die er einst leitete, aus der die Informationen oder eher Anwürfe stammen, die Wienand verarbeitete.

Maaßens Beobachtung durch den Verfassungsschutz wurde schon durch eine krude Verknüpfung ausgelöst – weil man auf dem Handy des Finanzjournalisten Markus Krall, den die Rollator-Putschisten ohne dessen Wissen als Finanzminister eingeplant haben sollen (was ungefähr so ernstzunehmen ist, wie wenn ich zur Abendunterhaltung eine alternative deutsche Regierung zusammenschreiben würde), eine Nachricht von Maaßen fand. Das war Grund genug für den Verfassungsschutz, beim BKA zu Maaßen nachzufragen. Besonders böse war diese Nachricht, weil er darin geschrieben habe, "diese Irren" führten das Land "auf geradem Weg in den Atomkrieg".

Noch ein klarer Punkt für Maaßen. Langsam würde es mich persönlich interessieren, was er zur Sprengung von Nord Stream zu sagen hat, und ob er das Verhalten von Olaf Scholz auch für schwersten Landesverrat hält, wie ich das tue.

Jeder kann das, was der Verfassungsschutz über Maaßen zusammengetragen hat, selbst überprüfen. Zwei Beispiele für Aussagen, die angeblich belegen, dass er rechtsradikal sei. Die erste stammt aus einem Video vom 24. Februar vergangenen Jahres:

"Die Staatsmedien sind mittlerweile zu Regierungsmedien geworden und zu Medien des Mainstreams. Sie wenden sich nicht gegen Regierungen und die Herrschenden, um sie zu kritisieren, um sie kritisch zu begleiten, sondern gegen diejenigen, die sie kritisieren. Sondern gegen diejenigen, die Opposition betreiben, und das ist Feindbekämpfung. Ich sehe die Staatsmedien mittlerweile schon als eine Gefährdung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung."

Das ist übrigens etwas, was wir in Gestalt dieser Kampagne – gegen die AfD oder gegen jegliche Abweichung vom Vorgegebenen – live tagtäglich vorexerziert bekommen.

Gerade in Bezug auf Maaßen ist es übrigens so, dass die Berichterstattung über ihn die Forderung nach einem beamtenrechtlichen Vorgehen ins Spiel bringt und Politiker sich dann dazu äußern. Im Grunde eine völlige Verkehrung des normalen Ablaufs. Erst eine aus Geheimdienstkreisen durchgestochene Information, dann eine breite und extrem einheitliche "Berichterstattung", die schon einmal die politische Linie vorzeichnet, und dann erst die passenden Aussagen aus der Politik. Hat das wirklich noch etwas mit einem demokratischen Prozess zu tun?

Reihenweise werden in dem Dokument Maaßen Aussagen zur Last gelegt, die andere über ihn machen. Niemand hat unter Kontrolle, was Dritte über ihn sagen, weder im Guten noch im Schlechten, und für Leute, die ihr Handeln danach ausrichten, was andere über sie sagen könnten, gibt es eine einfache Bezeichnung: Opportunisten. Diese ganze Liste an Vorwürfen lässt sich schlicht damit zusammenfassen, dass er nicht den gebotenen Opportunismus zeigt.

Auch die Zuschreibung "Antisemit" hat er sich auf die übliche Weise eingefangen. Selbst die Tagesschau folgt mittlerweile diesem Schema, das aus antideutschen Kreisen stammt:

"Maaßen hatte damals als CDU-Direktkandidat in Thüringen für die Bundestagswahl kandidiert. Im Wahlkampf prangerte er 'Wirtschaftsglobalisten' an, die versuchen würden, den globalen Reichtum auf einige Tausend Familien zu konzentrieren und die Nationalkulturen der Menschen zu zerstören. Der Begriff Globalisten wird häufig in rechtsextremen Kreisen als antisemitische Chiffre genutzt."

Mit Tausend Familien ist er noch etwas zu großzügig; schon 2014 schrieb die britische Hilfsorganisation Oxfam, 85 Personen besäßen mehr als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen. 2017 lautete die Meldung aus der gleichen Organisation, ganze acht Personen besäßen so viel. Das ist ein Zitat aus dem Oxfam-Bericht vom letzten Jahr:

"Im Verlauf der letzten zehn Jahre hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung mehr als die Hälfte des gesamten neuen Wohlstands auf der Welt eingefangen. Seit 2020 hat sich dieser Griff der Super-Reichen nach dem Vermögen, beruhend auf der Analyse der Daten von Credit Suisse durch Oxfam, beschleunigt, und das reichste Prozent hat sich beinahe zwei Drittel des neu geschaffenen Vermögens angeeignet. Sechsmal so viel wie die unteren 90 Prozent der Menschheit. Seit 2020 hat für jeden Dollar neuen globalen Wohlstands, den irgendjemand aus den unteren 90 Prozent errungen hat, einer der reichsten Milliardäre 1,7 Millionen Dollar eingenommen."

Und wenn man die Aussagen beispielsweise von Bill Gates zur "Überbevölkerung" hört, dann geht es nicht nur um die Zerstörung von Kulturen (übrigens der afrikanischen ebenso wie der europäischen), sondern um die Zerstörung von Menschen. Da ist es dann wieder, das fröstelnde Gefühl von damals. Wie war das nochmal mit den Spendern von "Correctiv"?

"Globalisten" ist schlicht der Begriff, den jene Leute verwenden, denen "Eigentümer internationaler Großkonzerne" zu kommunistisch klingt, die aber trotzdem erkannt haben, dass die Interessen dieser äußerst überschaubaren Personengruppe und die Interessen der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit nicht mehr miteinander zu vereinbaren sind. Wer das als "Antisemitismus" sieht, muss selbst Antisemit sein, weil nur Antisemiten Judentum zwanghaft mit Reichtum verknüpfen.

Aber warum dieser Angriff auf Maaßen? Den auf die AfD kann man noch irgendwie verstehen. Maaßens Werteunion ist nicht ansatzweise eine Bedrohung der politischen Mehrheiten.

Nun, so wie die Kampagne gegen die AfD sich mitnichten nur gegen die AfD richtet, sondern jede Form von Opposition gemeint ist, und das ganze Spektakel der Debatte über Parteiverbot, Grundrechtsentziehungen, Überwachung von Finanzströmen etc. am Ende auf die eine oder andere Weise wieder Faesers juristische Maschinerie zur Demokratiezerstörung anwerfen wird, ist zumindest ein Teil der Absichten des Maaßen-Dramas gut erkennbar. Da Ende vergangenen Jahres das Beamtenrecht verschärft wurde und auch pensionierte Beamte jetzt "jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen" müssen (vor Jahren gab es eine identische Formulierung mit "Parteiprogramm" an der Stelle der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vom saarländischen Schiedsgericht der Linken, woraufhin gewitzelt wurde, ob das auch auf der Toilette oder beim Sex zu gelten habe), geht es um Kürzung oder Entzug von Pensionen. Maaßen ist da nur der Präzedenzfall. Gemeint sind damit noch viele Andere.

Da gibt es beispielsweise einen ehemaligen Leiter eines bayrischen Gesundheitsamtes, der wegen seiner Kritik an den Corona-Maßnahmen abgesetzt wurde. Oder einen General a.D. Harald Kujat, der gelegentlich mit unangenehmen Bemerkungen zur NATO auffällt. In den inzwischen weitgehend abgeschotteten deutschen Leitmedien sind es fast nur noch solche Personen, die früher führende Positionen innehatten, aber die heutige Entwicklung für falsch oder gefährlich halten, die noch bis in ebendiese Leitmedien vordringen können. Gelegentlich. Gewünscht ist aber eine hermetische Abriegelung. Und da man sich nun einmal die Möglichkeit geschaffen hat, selbst ehemaligen Staatsdienern noch an die ökonomische Existenz zu gehen, wird man diese auch nutzen.

Unter der ganzen Fülle an Artikeln zu Maaßen und seiner vermeintlichen Gefährlichkeit findet sich gerade mal einer, der zumindest Bedenken äußert. Auf n-tv schrieb ein Kommentator:

"Die Demokratie muss nicht abwarten, bis auf dem Reichstag eine Hakenkreuzflagge flattert. Man kann ein Haus aber sturmfest machen, ohne es vorsorglich abzureißen."

Alle anderen Berichterstatter waren eifrigst damit beschäftigt, Pensionsstreichungen und Untersuchungsausschüsse einzufordern. Die Wahrnehmung dafür, wohin diese Entwicklung führt, die sie so eifrig fördern, fehlt ihnen völlig. Oder, um ein letztes Mal Maaßen zu zitieren (mit Dank an das Bundesamt für Verfassungsschutz, ohne das mir dieser schöne Satz, dem ich nur beipflichten kann, völlig entgangen wäre):

"Die Nazis von heute sind im Unterschied zu ihren Vorfahren so verblödet, dass sie noch nicht einmal merken, dass sie Nazis sind."

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